Interview – Das Problem mit dem Thwaites-Gletscher

In ausgewählten Blogbeiträgen möchte ich auch anderen Menschen die Möglichkeit geben, ihr Wissen zu teilen. Dr. David Kahan von Friends of the Forest (FoF) aus Goslar, hat mir einiges über den Thwaites-Gletscher erzählt. Warum genau dieser Gletscher so weltbewegend ist, erfahrt ihr in diesem Interview.

 

Karla: Dr. David Kahan, Sie sind mit Ihrer Frau Brigitte Kahan zusammen die Initiator:innen von Friends of the Forest in Goslar. Was genau ist das Ziel Ihrer Arbeit?

Dr. Kahan: Friends of the Forest ist ein loser Zusammenschluss von Freund:innen. Wir wandern jedes Jahr Hunderte von Kilometern durch den Harz. Dadurch kennen wir den Harz sehr gut, und es ist erschreckend zu sehen, wie schlecht es um den Harz steht. Aufgrund von Dürren und Stürmen mussten viele tote Bäume gefällt werden. Es ist traurig zu sehen, wie der Wald immer trister wird. Dagegen möchten wir durch Aufforstung ankämpfen.

 

Karla: Heute soll es aber gar nicht um den Wald gehen. Sie interessieren sich auch für Bereiche wie die Antarktis, die scheinbar weit von Braunschweig entfernt sind. Warum?

Dr. Kahan: Ich mag es zu atmen. Okay, das ist ein bisschen übertrieben, aber über 50 % des Sauerstoffs auf der Erde stammen von Lebewesen wie diesen: Phytoplankton.

Die Antarktis ist ein Gebiet mit dem größten Vorkommen von Phytoplankton. Sie bilden Flächen, die so groß sind, dass sie von Satelliten gesehen werden können. Krill, kleine Krabben, ernähren sich von ihnen und für eine Reihe von Walen ist das ein Festmahl . Die Antarktis ist eine der fruchtbarsten Regionen der Welt.

 

Karla: Klingt cool und ich liebe Wale, aber wir leben in Europa.

Dr. Kahan: Ja, aber die Antarktis ist ein einzigartiger Teil der Klimamaschine der Erde. Sie absorbiert riesige Mengen an Wärme, die wir produzieren, und erhöht die Fähigkeit der Ozeane, Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufzunehmen.
Das ist aber noch nicht alles: Die Antarktis mit ihren riesigen Eisschilden wirkt wie Captain Amerikas Schutzschild und reflektiert die von der Erde absorbierte Energie. Außerdem ist sie Teil des „Großen Förderbandes“: Sie kühlt und heizt Europa in der richtigen Jahreszeit gleichzeitig. Europa hat wegen der Antarktis ein mildes Klima.

 

Karla: Das ist krass! Wo liegt das Problem?

Dr. Kahan: Der Thwaites Gletscher in der Antarktis. Nicht umsonst wird er auch „Doomsday Gletscher“ genannt.

 

Karla: Doomsday. Übersetzt heißt das Weltuntergang-Gletscher. Was genau hat es damit auf sich?

Dr. Kahan: Der Gletscher trägt diesen Spitznamen, weil er instabil geworden ist und etwa halb so groß ist wie das Vereinigte Königreich. Die NASA hat herausgefunden, dass in dem Gletscher bereits ein 300 Meter hoher Hohlraum entstanden ist. Auf einer Fläche, die so groß ist, wie zwei Drittel von Manhattan. Inzwischen wirft der Doomsday-Gletscher jedes Jahr 252 Millionen Tonnen Eis ab. Insgesamt verliert die Antarktis etwa sechsmal so viel Eis, wie in den 1980er Jahren und somit auch der Doomsday-Gletscher.

 

Karla: Dass Gletscher schmelzen ist ja leider nichts Neues. In Kanada zum Beispiel ist 2020 die letzte vollständig intakte Schelfeis-Eisplatte in Kanada zerbrochen. Was würde denn passieren, wenn der Doomsday-Gletscher komplett abschmilzt?

Dr. Kahan: Der Doomsday-Gletscher hält die Antarktis sozusagen zusammen. Allein das Abschmelzen des Gletschers kann zu einem Meeresspiegelanstieg von 3 bis 4 Metern führen. Und das ist erst der Anfang. Wenn der Gletscher schmilzt, wird sich das Wasser in das Eis der Antarktis fressen. Wodurch noch mehr Eis schmelzen wird.

 

Karla: Das klingt ja ganz schön dramatisch! Aber noch kann das Abschmelzen aufgehalten werden, oder?

Dr. Kahan: Das ist noch nicht ganz klar. Dadurch, dass es an der Antarktis auch immer wärmer wird, dehnt sich das Eis im Winter immer weniger aus und im Sommer schmilzt mehr weg. Aber wir sollten zuversichtlich bleiben, dass der Kipp-Punkt noch nicht erreicht ist, solange nichts Gegenteiliges bewiesen wurde.

 

Karla: Zurück zum FoF, Freunde des Waldes. Wird das Pflanzen von Bäumen im Harz den Thwaites Gletscher retten?

Dr. Kahan: Nein, nicht direkt, aber ich erinnere mich an die Worte von Edmund Burke. Burke lebte im 19. Jahrhundert und gilt als der bedeutendste politische Denker der Neuzeit. Er schrieb:

 

„Niemand hat einen größeren Fehler begangen als der, der nichts tat, weil er nur wenig tun konnte“

 

Karla: Das könnte das Motto des FoF sein.

Dr. Kahan: Ja. Wir haben ein Jugend-Pflanzprojekt für Herbst 2021 geplant. Kommen Sie und machen Sie mit.

Karla: Ja, mal sehen! Vielen Dank, dass Sie mir etwas über den Thwaites-Gletscher erzählt haben. Das war sehr aufschlussreich! Es zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, den Klimawandel aufzuhalten.

 

Quellen: Quellen Interview
Quelle Beitragsbild: pixabay_jcrane
Quelle Phytoplankton: pixabay_FotoshopTofs